Wenn der Kreis sich schließt….

Mit dem Reiten habe ich seit vielen Jahren abgeschlossen…

Meine Sättel, Trensen und Halfter sind schon lange verkauft. Bleiben durften lediglich einige Fotos und Bücher über Pferde.

Diese entdeckte mein dreijähriger Sohn, Immanuel, bei einem seiner Streifzüge durch den Speicher in einem verstaubten Karton. Gemeinsam schauten wir die Bücher an, die vielen Abbildungen von Pferden und Ponys darin weckten sein Interesse. Das wird sich bestimmt bald wieder geben, dachte ich für mich.

Nun ja, einige Wochen später sind wir schließlich auf einen Ponyhof gefahren. Für eine Stunde durften wir mit einem Shetty spazieren gehen, dann warteten die nächsten Kinder. Sehr gerne hätte Immanuel beim Putzen geholfen, doch das war nicht möglich. Was das Zusammensein mit Pferden tatsächlich bedeutet, konnte mein Sohn auf diese Weise leider nicht erfahren.

 Glücklicherweise aber kenne ich einen Pferdehof auf dem die wahre Begegnung von Mensch und Tier im Mittelpunkt steht. Es sollte also tatsächlich so kommen, dass die neu entdeckte Faszination meines Kindes für Pferde mich zu meinen eigenen Wurzeln zurückführt.

Frau Gallin-Ast und ihre Pferde lernte ich im Alter von sieben Jahren kennen. Der Hof befand sich damals noch in Großberghofen und war für mich praktisch zu Fuß erreichbar.

Mit Pauline, der charakterstarken Shetty-Stute, schloss ich meine erste Pony-Freundschaft. Ich lernte das Putzen, Führen und den generellen Umgang mit einem Pony. Auch die Grundlagen des Reitens erlernte ich auf Rücken von Pauline. Rasch merkte ich aber auch: Das Leben ist kein Ponyhof! Denn nicht nur einmal streifte mich die Shetty-Stute an den Zaunlatten des Reitplatzes ab, unter denen sie problemlos hindurch galoppieren konnte.

Um ehrlich zu sein, waren es aber auch nicht die eigensinnigen Ponys, die mich als Mädchen so sehr begeisterten, viel mehr waren es die großen Pferde. Wenn LOCANDO, MY JUDGE oder PROSPECT DANCER im Galopp über den Reitplatz tanzten, dann konnte ich stundenlang zusehen und bewunderte die größeren Reitmädchen sehr. So möchte ich auch einmal reiten! Das war mein Wunsch.

Doch es sollte ein wenig anders kommen. Unter all den ehemaligen Galopp-Rennpferden war es nämlich NET LINE, der Traber, der schließlich mein Herz im Sturm eroberte.

Er wirkt etwas weniger elegant als seine Galopper-Kollegen, ist etwas tollpatschig und ist unter dem Sattel grundsätzlich eben nur im Schritt und Trab zu reiten, aber er hat den Charakter eines Champions. Mit Netty unter mir entwickelte ich mich zu einer einfühlsamen jungen Reiterin. Es störte mich nicht, dass wir nicht galoppieren konnten. Das Traben und vor allem der verstärkte Trab war nicht nur eine Pflichtübung, sondern unsere Kür. Das machten uns die Galopper so schnell nicht nach. Auf diese Weise lernte ich als zehnjähriges Mädchen auf NET LINE nicht nur Reiten.

Verantwortungsbewusstsein, Zuverlässigkeit, Körpergefühl und Selbstreflexion sind Kompetenzen von denen ich bis heute profitiere. Ich war ein ausgelassenes Mädchen, das mit den ehemaligen Leistungspferden ihren Traum lebte.

Es war wie das Gefühl des zuhause Ankommens, als ich mit Immanuel am 18.08.2021 die Pferde in Happach besuchen durfte. Der herzliche Empfang von Frau Gallin-Ast und der Geruch der Pferde, der über dem gesamten Hof liegt, weckten viele schöne Kindheitserinnerungen.

…und dann gingen wir zu NET LINE auf die Koppel.

Wie einst döste er mit hängender Unterlippe und treuem Blick vor sich hin, nur ein paar graue Haare verraten sein stolzes Alter von 35 Jahren. Die Größe des Pferdes beeindruckte mein Kind anfänglich, doch am Putzplatz überwog die Neugierde.

Ist die Pferdenase wirklich so weich, wie alle behaupten? Wie fühlen sich die Mähne und der Schweif an? Stecken in den Hufen Matsch oder Steinchen? Dann wurde aufgesattelt und aufgezäumt.

Fast eine Stunde führte ich Netty mit Immanuel oben drauf quer über den Reitplatz. Mit dem nötigen Feingefühl trug er seinen jungen Reiter und gab ihm dasselbe Gefühl von Geborgenheit wie mir einst. Als ich Netty in die Mitte führte, um Immanuel herunterzuheben, fragte er noch im Sattel sitzend: „Wann kommen wir wieder zum Netty?“

…….mit dem Reiten hatte ich seit vielen Jahren abgeschlossen…doch dann entdeckte mein Sohn seine Faszination für Pferde.

 

Ramona