Kinderfreundliche Kommunen

Jugendsport mit ehemaligen Rennpferden

Vorbemerkungen:

Anfang der 90er Jahre war ich im Vorstand des Münchner Galopp-Rennvereins e.V, in München-Riem u.a. mitverantwortlich für die Organisation von Rennveranstaltungen. Private und industrielle Sponsoren sicherten die Finanzierung der Renntage. Die Veranstaltungen fanden internationale Beachtung und führten zu Gewinnen zur Förderung von Zucht und Haltung, insbesondere für einige erfolgreiche Besitzer.

Leider bemerkte man sehr schnell, dass entscheidende Faktoren fehlten. Diese Faktoren sind jedoch unabdingbar zur Erschließung von zusätzlichen Finanzierungsquellen. Ihre Mobilisierung ist ein entscheidendes Puzzle für eine Weiterentwicklung und eine bessere Wahrnehmung des Rennsportes in unserem Lande und möglicherweise auch weltweit.

Es geht um das Schicksal und den Verbleib dieser edlen Vollblüter nach ihrem zeitlich begrenzten Einsatz als „Leistungssportler“. Hier sollte sich zukünftig – europaweit einiges verbessern, auch aufgrund neuer Verordnungen im gesetzlichen Tierschutz.

Man sollte Erfahrungen aus der Praxis nutzen und könnte u.a. die Ergebnisse aus unserer Langzeitstudie mit mehr als 20 „pensionierten“ Rennpferden übernehmen und umsetzen.

Tierschutz – Rennpferde in Ruhe

Im täglichen Ablauf von Rennpferden gelten klare, terminabhängige Regeln für Fütterung/Training/Haltung, die extrem personalabhängig sind und eingehalten werden müssen – auch an Wochenenden.

Unsere Vollblut-Dependance folgt diesen Vorgaben. Sie verursachen einen hohen Aufwand und erfordert u.a. auch detaillierte Aufzeichnungen und Beobachtungen – bei Tag und bei Nacht.

Der Arbeitsablauf und die Eingliederung unserer ehemaligen Rennpferde in eine Freizeit-Dependance entsprechen im Prinzip dem täglichen Ablauf in einem Trainingszentrum.

Vollblüter arbeiten täglich mehre Stunden im Gelände in der Nähe der Trainingszentren- und nicht ausschließlich in Reithallen. So wird eine Umstellung in eine pferdegerechte Vollblut-Dependance erleichtert und längerfristig erfolgreich möglich. Eine Haltung nachts in einer Einzelbox für jedes Pferd mit täglicher Fütterung unterstützt eine reibungslose Eingliederung.

Ein gravierender Unterschied zur Haltung im aktiven Rennsport ist die Rückführung in eine natürliche Herdengemeinschaft, ein ganztägige Aufenthalt im Freien und weitläufige Koppelanlagen, überwiegend ohne Beschlag.

Ein behutsamer Umgang und die Rückführung in die Herdengemeinschaft führen in wenigen Monaten zu einem bisher nicht erwarteten positiven Ergebnis: Die so gehaltenen Pferde zeigen eine große Neigung, ja fast so etwas, wie eine  zweite Berufung für eine gute Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, insbesondere auch von Kindern und Jugendlichen, die  durch äußere oder familiär bedingte Umstände belastet sind.  Ein bisher wohl unerwartetes und ungenutztes Potential, das m.E. auch das Sponsoring im Rennsport positiv beeinflussen könnte.

Hier einige Beispiele für den Einsatz unserer Vollblüter nach ihrem Ausscheiden aus dem aktiven Rennsport:

Kinderfreundliche Kommunen – Sprache und Integration

Ausreichende Sprachkenntnisse von eingewanderten Kindern und Erwachsenen sind eine grundlegende Voraussetzung für eine Integration in jeder Gesellschaft. Auch für Kinder und Jugendliche ist eine Beherrschung der Landessprache eine notwendige Voraussetzung, um an allen Schulfächern und am Schulleben erfolgreich teilnehmen zu können.

Viele Schulen sind jedoch allein auf sich gestellt und nicht in der Lage, alle Entwicklungslücken zu schließen. Viele schulische Förderungsmaßnahmen zeigen dann nur eine geringe Wirkung, wenn sich Kinder und Jugendliche in ihrer Freizeit wieder ausschließlich in der eigenen Gemeinschaft bewegen und in ihrer Muttersprache kommunizieren, während sich der Umgang mit deutschsprachigen Kindern und Erwachsenen auf das Notwendigste beschränkt.

Um dem entgegenzuwirken, erweist sich der Ausbau von außerschulischen Freizeitaktivitäten in Verbindung mit Chancen zur Förderung der Teamfähigkeiten und einem höflichen und toleranten sprachlichen Umgang als sehr förderlich.

Bildungs- und Integrationserfolge werden natürlich auch von den ökonomischen, kulturellen und sozialen Fähigkeiten und Vorbildern der Eltern geprägt. Das soziale Ansehen von Kindern aus weniger begüterten Familien oft mit mehr als drei Kindern und von Alleinerziehenden ist in Deutschland zum Teil spürbar schlechter als bei Kindern aus gutbürgerlichen Familien, ohne dass die betroffenen Kinder etwas dazu können. Eine Förderung und Einbindung in außerschulische Aktivitäten, wie z.B. in kinderfreundliche kommunale Projekte kann ihre soziale Interaktion und die Entwicklung einer gegenseitigen Verantwortung fördern. Bereits im Vorschulalter und später in der Vorpubertät existieren m.E. Chancen, eine spätere gesellschaftliche Teilhabe als Erwachsene positiv zu beeinflussen und zu verbessern.

Neue Rolle für Vollblüter in der Kinder- und Jugendarbeit1

Der Umgang mit Pferden fördert positive Charaktereigenschaften. Dies wird aktuell durch viele wissenschaftliche Studien bestätigt. Die Studien zeigen, dass ganz „normale“ Jugendliche dadurch durchsetzungsstark, zielstrebig, begeisterungsfähig, persönlich besser organisiert und ausgeglichener wirken. Dieser positive Einfluss von Pferden auf die Charakterbildung von Kindern und Jugendlichen sollte demnach in geeigneten Projekten gefördert werden.

Das „Pferd als Trainer“ fordert ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und Sensibilität, besonders für die Feinheiten der Körpersprache und ein vorausschauendes Erahnen möglicher Reaktionen des Tieres auf Außenreize. Die so erworbenen Fähigkeiten kommen Kindern und Jugendlichen auch im Umgang mit ihren Altersgenossen und last but not least den Lehrern in der Schule, im Elternhaus, sowie allgemein im Alltag bei unterschiedlichen Aufgabenstellungen zugute.

Seit langem werden Pferde erfolgreich zu therapeutischen Zwecken eingesetzt. Schon der regelmäßige Umgang mit Pferden macht Patienten mit körperlichen, nervlichen oder psychischen Störungen ausgeglichener, zufriedener und selbstbewusster. Die heilende Wirkung von Pferden auf Kinder und Jugendliche2 – gerade auch bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund und bei einer bedingten Verunsicherung von Kindern, erweist sich besonders bei Einsatz von sensiblen ehemaligen Rennpferden als vielversprechend.

Renn-Pferde BOOMERANG gGmbH

Unser Projekt mit Pferden baut auf den langjährigen Erfahrungen der „Kinder- und Jugendförderung BOOMERANG e.V.“3 auf. Mit ehemals erfolgreichen Rennpferden beginnen Kinder und Jugendliche selbstständig durch ihre Fürsorge für „ihr“ Pflegepferd persönliche Verantwortung zu entwickeln und zu übernehmen. Dies fördert in den Jahren ihre seelische und körperliche Stabilität. Der disziplinierte Umgang mit unseren sensiblen Vollblütern führt häufig zu einer tiefen Beziehung zwischen Mensch und Tier und macht Kinder und Pferde gleichermaßen gelehrig, nervenstark und verlässlich.

Vorrangiges Ziel ist es, Vorurteilen, Ängsten, Einsamkeit und Abgrenzung entgegenzuwirken und über das Pferd natürliche Kommunikationssituationen zu schaffen, die die Kinder und Jugendlichen zusammenführen. Im Team gliedern sich Kinder und Jugendliche in einen natürlichen Kontext „Umwelt – Mensch – Tier“ ein.

Die Zusammenführung von Jugendlichen mit einer Verantwortung für „ihre Pferde“ führt nach unseren Erfahrungen zu einer stressfreien  „Lernatmosphäre“ Sie kann für den weiteren Lebensweg eine Grundlage zu einer erfolgreichen Einbindung in die Berufswelt bilden. Außerdem ermöglicht das Projekt eine aktive Teilnahme am Gesamtprojekt und von Zeit zu Zeit auch gemeinsame Erfolgserlebnisse. Die Kinder und Jugendlichen entwickeln mehr Vertrauen in Teamwork, so dass sie in der späteren Arbeitswelt bei der Bewältigung von komplexen Aufgabenstellungen besser vorbereitet sind.

Berufsvorbereitende Maßnahmen:
Förderung von Jugendlichen durch aktive Einbindung in einen ökologisch geführten landwirtschaftlichen Betrieb

Interessierte Jugendliche können in die Abläufe unseres landwirtschaftlichen Betriebs eingebunden werden. Mit seiner Vielzahl an Betätigungsfeldern bietet der Betrieb einen praktischen Rahmen für die weitere Ausbildung, besonders im Hinblick auf eine ökologisch verantwortliche Vorgehensweise.

Die vielseitigen aber gleichzeitig überschaubaren Tätigkeitsbereiche (vom Anbau von ökologischen landwirtschaftlichen Produkten, über Pflege der Vollblüter einschließlich Stallarbeiten bis zu Gärtnerarbeiten und Arbeiten an den  Außenanlagen) bietet jungen Menschen konkrete Erfahrungen, sich selbst und die eigenen Neigungen in der Praxis „auszuprobieren“ sowie die eigenen handwerklichen und sozialen Fähigkeiten weiter  zu entwickeln.

Teamwork, Fairness und verdiente Anerkennung für gute Ideen und Leistungen stehen an erster Stelle. Individuelle Interessen, Stärken und Schwächen der Jugendlichen werden individuell berücksichtigt. Um Jugendlichen, die sich bei den heute verbreiteten Ausbildungs- und Arbeitsmärkten manchmal benachteiligt fühlen, ebenfalls die notwendigen Orientierungs- und Entwicklungsmöglichkeiten bieten zu können, ist eine intensive, individuelle Betreuung wichtig. Jugendliche, die in ihrer Vorbereitung auf den Beruf mehr Unterstützung benötigen, sollten in unserem landwirtschaftlichen Betrieb deshalb durch eine persönliche Betreuerin begleitet werden.  Ihre Aufgabe besteht u.a. darin, Schwerpunkte für die weitere  Ausbildung zu vermitteln und die Jugendlichen bei Planung, Vorbereitung und Durchführung zu unterstützen. So können Jugendliche eine weitgehend selbstständige Erschließung neuer Handlungsorientierungen erlernen und zusätzlich bei aufkommenden Schwierigkeiten eine vertrauensvolle  Unterstützung finden.

Zusammenfassung:

Unser Hof mit 20 „pensionierten“ Vollblütern aus dem Galoppsport einschließlich  unserem angeschlossenem landwirtschaftlichen Zweckbetrieb für eine ökologische Erzeugung der benötigten Futtermittel, u.a. Heu, Stroh und Getreidesorten (Schwarz- und Gelbhafer) sowie für die Erzeugung neuer Einstreuprodukte auf Basis Miscanthus verfügt über Flächen von insgesamt 36 ha.  Als „kleiner Weiler“ mit Wiesen- und Waldwegen bieten wir ein einmaliges Ausbildungs- und Freizeitangebot abseits von Lärm und Stress.

Durch individuelle Betreuung von Kindern und Jugendlichen fördern wir gezielt die Eingliederung in ein kleines Team und die Übernahme von persönlicher Verantwortung für das jeweils „eigene“ (Renn) Pferd.

Wir vermitteln dazu die erforderlichen praktischen Kenntnisse und Fähigkeiten durch eine individuelle Betreuung in Kleingruppen.

In Zukunft bieten wir außerdem Praktika in unserem neuen Technikum an, das derzeit in Planung ist.

Happach, den 13. Oktober 2019
Hannelore Gallin-Ast


1 Kindergarten Altomünster – ein paar Stunden mit „Rennpferden“
2 Projekt Laura
3 Youtube: AfterRaceCare Boomerang – Pfingstferienprogramm 2001