Jugendliche und Pferde – Gemeinsamkeiten und voneinander lernen
Vorbemerkung:
Wir schreiben September 2017 und die Tage, Wochen und Monate sind verflogen wie der Rennablauf eines 1200 m Galoppers.
Der Herbst steht vor der Türe, die Schule hat nach den langen schönen Sommerferientagen wieder begonnen. Der Alltag nimmt einem die Zeit und man ist noch nicht so schnell wieder im Normalablauf. Nicht nur Kindern und Jugendlichen geht es so, auch wir Erwachsene müssen uns wieder auf eine klare Organisation einstellen.
Ein wichtiges Ziel ist es für uns persönlich, unsere Ansprüche zu sichern und das bedeutet m. E. eine ausreichende Lebensqualität für jedes Lebewesen anzustreben.
Ob Mensch oder Tier, wir sollten uns einig sein, ohne Glück, Zufriedenheit, Liebe, Fürsorge und Geborgenheit lässt es sich nur schwer leben und der angestrebte Erfolg ist nur mühsam zu erreichen. Das zeigt sich besonders bei sensiblen „Rennpferden“ aber auch bei Kindern und Jugendlichen.
Aus den Erfahrungen einer Langzeitstudie über einen Zeitraum von 17 Jahren im Umgang mit ehemaligen Rennpferden und mit Kindern und Jugendlichen kann man Parallelen ableiten. Vielleicht sind sie eine Ursache, warum sich Vollblüter, Kinder und Jugendliche so gut verstehen. Sie sind ähnlichen Anforderungen von außen ausgesetzt: Einige Abläufe sind über das Jahr gesehen mit Blick auf den Terminkalender fast identisch. Früh morgens muss man aus den Federn. Nach einer kurzen Stehmalzeit, fertig gestriegelt und gebügelt und aufgesattelt tritt man den Weg zur Vorbereitung auf das „Warmlaufen“ an. Dann geht es hochkonzentriert zur Sache, eingespannt in Zaumzeug und Sattel galoppiert man einige Kilometer – kein Ausbrechen, kein Entkommen. Ob Kopfschmerzen, Gliederzippern oder Halsweh – man absolviert täglich sein Pensum. Mittags dann ein feines Futter und danach eine Ruhephase/Freizeit- auch Koppelgang und nach einer Verschnaufpause folgen das Abendtraining in der Führanlage mit anschließender guter Fütterung. Danach „ab ins Bett“.
Dieser Ablauf lässt leider keine spontanen Aktionen zu, denn am Ende steht immer der Anspruch, sich dem Wettbewerb zu stellen und irgendwann als Sieger oder mehrfacher „Gewinner“ vom Geläuf unter großer Aufmerksamkeit des Publikums – mit Heldenrufen und Geklatsche – abgeholt zu werden.
Was ist der Lohn für den Einzelnen selber, denn es geht ja um Ansprüche von Dritten, die ohne Widerspruch entgegengenommen und akzeptiert werden müssen? Das heißt, den Lohn für diesen täglichen Einsatz erhalten eigentlich vorerst die Befehlsgeber – auf beiden Seiten.
Bedenken wir aber, was passiert, wenn es nicht so abläuft und ein Versagen passiert.
Ob bei einem Rennpferd oder bei Jugendlichen, wenn der Druck von außen zu groß wird, werden sie sich verweigern. Nicht einfach so, hier geht es klar und deutlich um das Überleben des jeweiligen Individuums. Für viele Befehlsgeber zerbricht dann eine kleine, heile Welt– manchmal auch eine große.
Ein Verweigern oder als Vorletzter über die Ziellinie zu galoppieren, empfinden die Befehlsgeber dann meist als eigenes Versagen und man ist zutiefst getroffen. Wieder dreht es sich nur um unser Ich um unsere Person. Unser Besitzdenken lässt einfach keine andere Möglichkeit zu oder …. manchmal doch?
Für Rennpferde kann ein Versagen das Ende ihrer Karriere bedeuten, für Kinder und Jugendliche manchmal einen steinigen, einsamen Weg bis zum Erwachsensein. Diesen Kreislauf sollten wir zum Wohle der Schutzbefohlenen überdenken und verbessern.
Nehmen wir ein Beispiel:
Eine 13jährige Schülerin, sehr groß gewachsen, eigentlich für ihr Alter vom ersten Eindruck her sehr frühreif. Etwas unsicher in ihrer feinen ruhigen Art. Schmal, der Rücken meist gekrümmt, in diesem Alter ist man mit nichts zufrieden, alles sitzt am falschen Fleck.
Diese hübsche Schülerin wünscht sich seit langem ein Pferd oder zumindest ein Pferd zum Reiten. Der Unterhalt eines eigenen Pferdes ist aber sehr teuer und für die tägliche Betreuung fehlt die Zeit. Übrig bleibt dann als Lösung nur eine Stunde Reitunterricht an manchen Tagen. Unbemerkt geraten bereits Kinder in den Kreislauf des Einforderns, d.h. die Eltern bezahlen eine Reitstunde, der Anspruch der Kinder ist das Reiten. Dabei setzt man aber Lebewesen ein, d.h. die Schüler werden in Gruppen eingeteilt und ausgebildet und dabei bedient man sich der Pferde – ohne vielleicht zu berücksichtigen, dass keinerlei Vorkenntnisse bei den Schülern vorhanden sind.
Jeder erfahrende Pferdemensch und dazu sollte man die Betreiber der Reitschulen zählen, wird vorab einige Wochen lang seine Schüler auf das Reiten vorbereiten. Dabei lernen die Kinder den Umgang mit Pferden, sie zu führen, sie richtig anzubinden, zu putzen, die Hufe auszukratzen etc.. Sie werden unterrichtet wie man das Pferd aufzäumt, aufsattelt und viele kleine Details, die das Verständnis der Kinder stärken und ihnen beibringen, dass es sich hier um ein sensibles feinfühliges Tier handelt. Dabei werden die Kinder über die Fütterung informiert, über sauberes Heu und Stroh, sowie die tägliche Boxenreinigung, über saubere Wasser-Tränkebecken, Futterbecken und auch, dass man z.B. von Zeit zu Zeit die Spinnweben an der Decke entfernen muss. Auch die Außenreinigung müssen die Kinder verstehen, Reinigung der Paddocks, der Koppeln sowie jede kleine Veränderung an den Zäunen, um Unfälle und Leid von den Tieren abwenden zu können.
Und dafür sollen die Eltern zahlen? Was hat dies mit dem Reitunterricht zu tun? Schlicht, einfach und kurz – ein Pferd ist keine Geldquelle, sondern ein wunderschönes Tier, das ein Kind sicher durch das Gelände tragen wird. Auch Mütter oder Väter tragen ihre Kinder, aber leider keine 13jährige Jugendliche. Eine Mutter oder ein Vater wird seinem Kind keinen Schaden zufügen, dass Kind klammert sich an und die Vertrautheit mit den Eltern vermittelt dem Kind Geborgenheit. Setzt man nun ein Kind einfach auf ein Pferd und beginnt einen Unterricht im Kreise mit anderen – dann ist das ein einschneidendes Erlebnis. Manchmal geht es gut, das Pferd ist ruhig, manchmal geht es schief. Das Kind erinnert sich aber an das Tragen aus seiner Zeit als Baby und erfährt plötzlich, dass dieses Tragen eine Gefahr darstellt, es klammert und hat Angst. Diese innere Panik wird das Kind auf das Pferd übertragen. Beide sind sich fremd und verspannen sich. So wird sich keine Geborgenheit für beide Seiten entwickeln.
Langsam lernen wir zu verstehen, wie wichtig es ist, Kinder und Jugendliche ernst zu nehmen und beginnen, ihre Entscheidung ein Pferd zu reiten aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
Die Ausbildung am „Boden“ ist Voraussetzung, dass eine Verbindung entstehen kann zugunsten der Kinder, u.a. durch Betrachtung des wunderschönen Pferdes und seinen Reaktionen auf die Zuwendung der Kinder. Dieser respektvolle Umgang und die Freude in der Begegnung mit einem Pferd kann die Persönlichkeit der Kinder positiv prägen. Geduld, körperlicher Einsatz und höflicher Umgang mit Gleichgesinnten, Gestaltung und Ordnung in der Freizeit können sich positiv auf die weitere Entwicklung von Jugendlichen auswirken.
„ReCare BOOMERANG“ – Schulprojekt:
Was wäre, wenn wir mit unserer Arbeit erreichen könnten, dass z.B. „AfterRaceCare-Germany“ als Projekt in den Schulen aufgenommen würde?
Dieses Thema „Rennpferde“ würde eine Dynamik entwickeln und der Begriff „Reiten“ könnte für Kinder und Jugendliche eine Wende einleiten und eine gute emotionale Grundlage für das spätere Leben als Erwachsene bedeuten.
Bei weiteren Überlegungen kann man festhalten, dass dieses neue Schulprojekt in alle traditionellen Fächer eingreifen würde: Biologie – Erdkunde – Deutsch – Mathematik – Naturwissenschaften – allgemein alle Aktivitäten im Sport etc.. Vor allem würde es einen guten Einfluss auf die charakterliche Entwicklung von heranwachsenden Kindern haben.
Die meisten Schulfächer würden besser verstanden, denn die erlebten praktischen Erfahrungen der Kinder mit Landwirtschaft, Tierhaltung, der Natur im Winter, Frühling, Sommer und Herbst und vieles mehr prägen wie selbstverständlich auch das Leben im Alltag.
Hannelore Gallin-Ast