Wie ein eigenes Rennpferd

Babsi und Brigandino
Artikel aus tierfreunde.de vom 13.02.2009

Seit acht Jahren ist die Farm des Vereins „Kinder- und Jugendförderung Boomerang” in Großberghofen (Landkreis Dachau) für die 19-jährige Barbara ein zweites Zuhause. So oft wie möglich kommt die Auszubildende aus Indersdorf hierher, um sich um ihr Pferd Brigandino zu kümmern. Dabei ist der hübsche Wallach nicht Babsis eigenes Pferd, wenn man es genau nimmt.

Die Kinder- und Jugendförderung Boomerang ermöglicht es Kindern und Jugendlichen, sich eines Pferdes anzunehmen, als wäre es das eigene. „Ich muss mich komplett um Brigandino kümmern”, sagt Babsi, vom Ausmisten über die Pflege bis hin zum Reiten. Und wenn sie keine Zeit hat, springt eines der anderen Mädchen ein. „Wir sind hier eine Gemeinschaft und helfen uns gegenseitig.”

Als Babsi mit elf Jahren das erste Mal zusammen mit einer Freundin auf die Farm kommt, fühlte sie sich sofort wohl. Bald durfte sie sich um das freche Shetlandpony Pauline kümmern, das zusammen mit den Ziegen in einem großen Auslauf steht. „In anderen Reitschulen wird man auf das fertig gesattelte Pferd gesetzt und geht nach einer Stunde Reiten wieder heim”, sagt Babsi. Auf der Boomerang-Farm gibt es auch Reitunterricht, aber vorher müssen die Kinder die Pferde selbst putzen und satteln – und hinterher natürlich wieder versorgen.

Hannelore Gallin-Ast ist die Gründerin des Vereins. Der Beginn der Kinder- und Jugendförderung Boomerang geht auf die 90er Jahre zurück. Hannelore Gallin-Ast, die im Pferdesport groß wurde, nahm sich ehemaliger Rennpferde an, die oft sang- und klanglos abgeschrieben wurden, aber noch voller Energie waren und für ihren weiteren Einsatz einer richtigen Hand bedurften. Zu diesem Engagement kommen ihre Zuneigung zu Kindern und Jugendlichen und ihre Bemühungen, ein neues Feld an Freizeit-Möglichkeiten zu schaffen.

Um die insgesamt 15 Pferde kümmern sich jeweils ein bis drei Kinder und Jugendliche. Teilweise stammen die kleinen Tierfreunde aus Familien, die sich regelmäßigen Reitunterricht, ganz zu schweigen von einem eigenen Pferd, nicht leisten könnten. 30 Euro im Monat kostet das „eigene” Pferd für die Jugendlichen auf der Farm in Großberghofen, und sie können so oft kommen, wie sie möchten. „Ich versuche, die Kosten über Spenden zu decken”, sagt Hannelore Gallin-Ast und seufzt. Denn vor kurzem ist ein großer Sponsor wegen der Finanzkrise abgesprungen. „Ich bin am Kämpfen.” Eine Entschädigung für ihr großes Engagement ist die positive Entwicklung der Kinder: „Sie lernen hier Verantwortung, man kann beobachten, wie sie im Umgang mit den Pferden ruhiger und verlässlicher werden.”

Babsi ist schon eine von den „Großen” auf der Farm, die die kleinen Mädchen mit beaufsichtigen. Sie ist mittlerweile Bürokauffrau im dritten Lehrjahr und möchte nach dem Abschluss auf der BOS ihr Abitur machen. Auf der Farm in Großberghofen hat sie in den vergangenen Jahren schon viel erlebt: zum Beispiel die Geburt von Beckham, der mittlerweile ein erfolgreiches Rennpferd ist.

Im Jahr 2002 entstand unter den Kindern der Wunsch, ein kleines Fohlen zu züchten und in der Gemeinschaft aufzuziehen. Wie Hannelore Gallin-Ast auf der Internetseite der Kinder- und Jugendförderung erzählt, fiel nach langen Diskussion die Entscheidung: Die Kinder und Jugendlichen sollten an allen Phasen bis zur Geburt eines kleinen Vollblut-Fohlens teilhaben. Sie sollten miterleben, wie viel Liebe, Pflege und Verantwortung in den nächsten elf Monaten aufgebracht werden müsste. Der Verein konnte eine Zuchtstute pachten, die bereits erfolgreichen Nachwuchs für die Rennbahn hervorbrachte. Kinder und Erwachsene waren stolz, dass „Bohemian Rhapsody” von dem großartigen Hengst Java Gold, der auf dem Gestüt Ammerland am Starnberger See ein wohlbehütetes Paschaleben führte, gedeckt wurde.

Aufregend war zunächst das Decken der Stute, und die Kinder umsorgten ihre werdende „Mami” mit großer Fürsorge und wachsamen Augen. Die Box wurde vergrößert, Müsli gekocht, jeder gute Grashalm gesammelt.
Alles sollte bestens für die Geburt vorbereitet werden. Bereits Wochen vor dem eigentlichen Geburtstermin wurde disputiert, geschlichtet und entschieden, wer und wann die Nachtwache halten dürfe. Und dann war es so weit, der Geburtstermin stand kurz bevor.
Alles wurde gereinigt, die Box noch sorgfältiger eingestreut, die Mami in spe liebevoll ausgeführt, zusätzlich zu ihrem ganztägigen Koppelauslauf. Bücher über die Geburt von Fohlen wurden gewälzt, jeder Tag warf neue Fragen auf und führte zu profunden Erkenntnissen. Bereits 14 Tage vor dem Geburtstermin wurde eine regelmäßige Nachtwache eingeführt. Jeweils zwei weitere Kinder oder Jugendliche lösten sich turnusmäßig mit Hannelore Gallin-Ast ab.
Zum Schlafen reichten Matratzen auf der Galerie, von wo aus die Abfohlbox bestens eingesehen werden konnte. Bonny, wie die Mutterstute liebevoll von den Kindern genannt wurde, ließ sich Zeit. Sie befand die übertriebene Fürsorge für angemessen und genoss ihre täglichen Extra-Leckerbissen. Nach 14 Tagen waren starke Müdigkeitssymptome bei allen Beteiligten nicht mehr zu übersehen.
Ab sofort übernahmen die „Großen” die Wachschichten, die „Kleinen” durften nur noch am Wochenende im Stall wachen. Natürlich suchte sich Bohemian Rhapsody eine Nacht von Samstag auf Sonntag aus – und Wache hielten ausgerechnet die zwei „Kleinsten”: Barbara war damals zwölf Jahre alt, und ein weiteres Mädchen.
Die lang einstudierten Abläufe klappten wie am Schnürchen. Nach nur kurzen Wehen lag ein kleiner nasser Held im Stroh: Beckham. Bonny war fürsorglich und überaus besorgt um ihren kleinen Sohn, den sie immer wieder von Neuem putzte.
Die Kinder und Jugendlichen kamen aus allen Richtungen angeschwärmt, Mütter und Väter wurden aus den Betten geholt, und eine Stunde nach der Geburt saßen und lagen alle Kinder im frischen Stroh in Bonnys „Geburtszimmer”. Klein Beckham sprang bereits lustig hin und her und stärkte sich jede Minute bei seiner liebevollen Mutter. Stolz schnupperte Bonny an ihrem kleinen Sohn, rieb sich den Kopf bei den Kindern.

Nach einer unbeschwerten Kindheit kam Beckham zur Ausbildung auf die Rennbahn nach Baden-Baden. 2008 startete er erfolgreich mit seiner jugendlichen Reitern Jana Michaelis beim Junior Cup. Natürlich wünschten sich die Großberghofener Kinder, dass Beckham weiterhin ihr exklusives „Rennpferd” bleibt. So entstand die Trainingsgemeinschaft Beckham, kurz „tgm-beckham”.
Und sollte es irgendwann nicht mehr klappen mit der Rennkarriere, dann wartet auf Beckham in Großberghofen eine hübsche Box mit Paddock und große Koppeln – und natürlich alle Kinder, Jugendliche und Hannelore Gallin-Ast.