Comeback eines Champions

Vom durchgeknallten Rennpferd zum Vollblutathleten

Es wird so viel über den Rennsport und den Einsatz von Vollblütern diskutiert, leider gibt es nur einzelne Studien über unterschiedliche Haltungen, Trainingsabläufe und den daraus resultierenden Entwicklungen dieser harten Leistungssportler. Anhand von Aufzeichnungen, Beobachtungen und anschließenden Auswertungen, aus Langzeitstudien, können neue Erkenntnisse zu Verbesserungen führen.

Zu untersuchen, warum ein Vollblüter sich verweigert z.B. in einen Hänger zu steigen oder nicht mehr in eine Startbox einrückt, wurde damals in den 1990er Jahren in den Medien bekannt, als der „Pferdeflüsterer“ Monty Roberts sich dem Ausnahmepferd Lomitas annahm. Diese Story hat so viele Reaktionen in der Gesellschaft ausgelöst – im Guten, wie im Schlechten.

Es zeigt die gesamte Spannbreite einer Gesellschaft, die ohne nachzudenken, Meinungen zum Besten gibt, ohne auch nur annähernd die Probleme zu betrachten, zu erkennen oder gar sich für eine Verbesserung einzusetzen.

In den letzten 2 ½ Jahren konnten wir verfolgen, wie ein total „durchgeknalltes Rennpferd“ mit dem Erfahrungsschatz eines Top-Rennprofis, mit viel Zeit und Ruhe außerhalb eines normalen Rennbetriebes für weitere Rennen vorbereitet wurde. Im Grund ist dies das Ziel und der Wunsch für jeden Rennpferde-Eigentümer, diese harten aber sensiblen Vollblüter nach dem Einsatz als Rennpferde wieder langsam in ihre Herdengemeinschaft zurückführen, um sie später im Freizeitsport einzusetzen. Wir hatten das Glück einem der besten Leistungssportler – dem weltweit bekannten Jockey: Mr. Kevin Woodburn zu treffen, der zusammen mit seiner Lebensgefährtin Frau Simone Bals einen Vollblüter vor 2 ½ Jahren mit einer Gewinnbeteiligung von der Besitzerin Frau Antonia Bögl gepachtet hatte. Seither verfolgen wir die Arbeiten eines Vollprofis, dessen Beharrlichkeit, nunmehr zu guten Ergebnissen geführt hat.

Um Pferde aus dem Rennbetrieb verantwortungsvoll an Besitzertrainer zu abzugeben, sollten die Pferde noch in guter, gesundheitlicher Verfassung sein, die dem jeweiligen Alter der Tiere entsprechen. Dabei zeigt sich im Laufe der Jahre, ob die Tiere aus einer erfahrenen Aufzuchthaltung und bereits im Fohlenalter auf den harten Einsatz im Renngeschehen gut vorbereitet wurden. Entscheidend dabei ist aus heutiger Sicht, dass bereits die Geburt der Fohlen, die Pflege während der Aufzucht, die Fütterung sowie der tägliche Auslauf in der Herdengemeinschaft meist ausschlaggebend ist. Wichtig dabei ist auch die tägliche Betreuung der Jährlinge, um sie gezielt für den Einsatz als Leistungssportlers zu unterstützen.

Dagostino wurde in einem der besten Vollblutgestüte Deutschlands – Gestüt Wiedingen – aufgezogen, aus einer hervorragenden Mutterlinie und einem interessanten Hengst. Im Rennstall wurde er behutsam von verschiedenen Trainern (zuletzt in München Riem, im Trainingsstall von Frau Jutta Meyer – Mr. John Hilles) vorbereitet, so dass er bereits ab dem dritten Lebensjahr für Züchter, Besitzer und Trainer erfolgreich in den Folgejahren gute Gewinne eingaloppierte. Und gerade weil Dagostino eine gute Aufzucht und ein geschontes Training hinter sich hatte, war es schon aufgrund seiner guten gesundheitlichen Verfassung möglich – ihn in die Obhut einer Besitzertrainerin in Pacht abzugeben.

Besitzertrainer, sind meist Privatpersonen, die ein oder zwei Pferde betreuen können. Meist finden die Tiere zudem liebevolle Familienmitglieder, wie Kinder, Freunde aber auch Großeltern, die sie umsorgen. Auch die Unterbringung ändert sich schlagartig. Aus einem regelmäßigen Rennbetrieb finden die ehemaligen Rennbahnhelden dann meist weitläufige Koppel und Boxenhaltungen mit anderen Tierarten, wie Ponys, Schafe, Hühner usw. vor.

Vergleichbar wie z.B. bei uns Menschen (hochdotierte Berufe, Sportler etc) zeigen sich aber auch bei den Rennpferden Ermüdungserscheinungen, oder sogenannte „Burnout“-Probleme. Und darauf sollte zukünftig reagiert werden. Es müssen Konzepte erarbeitet werden, um festzustellen – wo die Probleme liegen und wie man sie behandeln und verbessern kann.

Anhand der Ergebnisse aus den letzten 2 ½ Jahren konnte man bei Dagostino wieder eine positive Veränderung feststellen. Nicht nur, dass sich langsam sein aggressives Verhalten änderte und man mit ihm wieder ohne Probleme arbeiten konnte, zeigte sich seine Leistungsbereitschaft erneut, so dass er wieder eines seiner Rennen ohne Probleme gewann. Für alle Beteiligten im ersten Moment eine große Freude, verbunden mit einem Geldbetrag, denn die neuen Eigentümer bzw. aber auch die ehemaligen Züchter u. Verpächter nehmen prozentual an diesen Erfolgen durch Geldgewinne teil. Aber für den eigentlichen Gewinner, Dagostino, im wahrsten Sinn „ein Rückschlag“. Denn das Siegerpferd bekommt ebenfalls eine Bewertung, die sich aber in einem solchen Rekonvaleszenzfall mit 10 Jahren negativ für den eigentlichen Hauptakteur – dem Pferd – auswirkt.

Erläuterung: Ein Pferd bekommt für einen Sieg oder nach drei aufeinanderfolgenden Starts ein sogenanntes Handicap, GAG, welches ihnen Starts in den Handicaprennen ermöglicht. Kurzum: Bessere Pferde tragen höhere Gewichte und schlechtere Pferde tragen niedrigere Gewichte um eine Chancengleichheit zu schaffen. Damit besteht die Möglichkeit, dass das Siegerpferd in die nächst höheren Klassen (großes Ansehen, mehr Renngewinne bessere Zuchtaussichten) aufsteigen kann. Bei dreijährig gezogenen Pferden ist meist das Derby das Ziel eines jeden Besitzers, es gibt neben der Bewertung des Pferdes hohe Renngewinne, Besitzer- und Züchterprämien aber auch internationale Anerkennung und die Möglichkeit das Pferd nach der Laufbahn als Rennpferd, im Zuchtgeschehen einzusetzen und für die Besitzer weitere Gewinne über Jahre zu erzielen.

Die Tradition zielt darauf ab, zu selektieren, um nur die Besten infolge, weiter in der Zucht zu verwenden. Wenn nun, wie Dagostino – der als Gewinner eines Listenrennens – und somit für seine Züchter und Eigentümer hohe Gewinnsummen eingaloppierte – in die Jahre kommt, wird es entscheidend sein – wie gut seine Aufzucht, aber auch wie sorgfältig und fürsorglich er als Jungpferd trainiert wurde.

Dagostino hatte das große Glück, eine hervorragende Aufzuchtsstätte, sowie ein umsichtiges geschontes, erfolgreiches Training in jungen Jahren zu absolvieren. Er hatte beachtlichen Erfolg, aber für den Einsatz als Zuchthengst fehlten ihm die Ergebnisse in den besagten Grupperennen. Somit sind bei einem Hengst oder Wallach die Weichen gestellt.

Dazu kam, dass er sich im Renngeschehen plötzlich verweigerte, er warf seine Reiter ab (teilweise mit langwierigen Verletzungen für die Reiter) konnte nur noch mit Mühen in Transporter verladen werden und an den Startboxen ging der eine oder andere Helfer zu Boden. Besitzer stehen somit vor einem schwierig, kaum lösbaren Problem: Was nun – Wohin mit diesem Pferd????

Als Freizeitpferd – niemals!! Und somit begann die Erfolgsgeschichte von Dagostino .

Wie bereits berichtet übernahm Frau Simone Bals, als Besitzertrainerin Dagostino für zwei Jahre in Pacht. Ihr Lebensgefährte Kevin Woodborn unterstützte sie bei dem täglichen Training. So eine Ausnahmesituation gibt es nur selten. Die Erfahrungen eines Spitzenjockey zeigten alsbald Erfolge und aus einem zornigen, aufmüpfigen Flegel ist heute ein gelassener zufriedener Held, der obendrein sogar noch die Option bekommen hat, seinen zukünftigen Lebensabend in einem Herdenverband mit Vollblütern, für die Kindern und Jugendförderung Boomerang e.V. auf großflächigen Koppeln zu verbringen.

Fazit: Dagostino wird noch einige Rennen absolvieren, ruhig gelassen und ohne Stock, eben wie man einen Vollprofi-Sportler abtrainiert und vielleicht ziehen verantwortliche Akteure im Renngeschehen, insbesondere die Handicapper, in Erwägung, ob hier eine grundlegende Veränderung im Bereich der Bewertung für Gewichtsvergaben diskutiert und zukünftig umgesetzt werden sollte.

Ein 10-jähriges Rennpferd sollte bei der Gewichtsvergabe nicht mit einem Vierjährigen gleichgestellt werden, da sich ein 10-jähriger wohl kaum noch zu steigern vermag wie z.B. ein jüngeres Pferd. Die Bewertung eines 9jährigem Wallachs, der DREI JAHRE im Rennstall davor kein Rennen gewinnen konnte, mit der Vergabe eines Aufgewichtes von 3 ½ kg für einen Sieg, der erst durch die Aufbauarbeit von 1 Jahr durch einen Besitzertrainer möglich war, ist nach unserer Meinung falsch und endet für viele Tiere, insbesondere für Wallache, meist in einem totalem „Aus“.

Das Image des Rennsportes könnte mit solchen Entscheidungen gesteigert werden, leider fehlt es vermutlich an Einsicht und einem guten Management. Solche überholten Regeln gehen aber zu Lasten der Tiere. Rennsport sollte aber Freude bereiten, für Mensch und Tier und nachdem man das Alter zur Teilnahme an Rennen auf 15 Jahre erhöht hat, ist es zwingend notwendig die alten verstaubten Regeln zu überdenken.

 

Fallbeispiel bei DAGOSTINO:

Dagostino hatte vor seinem Sieg in 2015 ein GAG von 51 kg, welches durch die Gewichtserlaubnis des jeweiligen Reiters (Lehrling – Amateur) von 5 kg somit auf 46 kg „reduziert“ werden konnte. Für seinen Sieg hat ihm der Handicapper 3,5 kg Aufgewicht gegeben??!! Demnach bedeutet dies für   Dagostino, in der neuen Saison und um ein Jahr älter – ein Mehrgewicht für das Rennjahr 2016 von 8,5 kg (man sagt: 1 kg = 1 m) also 8,5 m weiter/schneller als letztes Jahr. Jeder der eins und eins zusammenzählen kann und ein bisschen Ahnung vom Handicapsystem hat, kann sich vorstellen, dass sich ein 10-jähriges Pferd nicht mehr großartig steigern wird, vielmehr muss er jetzt so gemanagt werden, dass er dieses Mehrgewicht wieder „runterlaufen“ muss, um wieder sein Ausgangshandicap zu erreichen.

Dagostino ist letztes Jahr fast immer mit Erlaubnisreitern galoppiert. Als einer von Deutschlands besten Profireiter Andrasch Starke ihn geritten hat, (der ja nun keine Erlaubnis mehr hat), endete er zweimal unplatziert. Das zeigt, dass er schon letztes Jahr eigentlich mit seiner Handicapmarke überfordert war. Kevin Woodburn, der aber seinen Dagostino weiter beobachten wollte, hat natürlich auch keine Erlaubnis mehr, so dass Dagostino so von seinem Betreuer eingesetzt wird, dass er keinen Schaden erleidet und von Rennen zu Rennen Gewichte aberkannt bekommt. Grundsätzlich müsste ein Rennen genügen, um diese 3, ½ Kilo (für einen Sieg in 2015) zu streichen. Es sollte keine Diskussion sein, sondern man muss diese Regel zugunsten des Rennsportes überarbeiten. Um aber den Sport zu erhalten brauchen wir diese Rennen. In diesen (sogenannten) Ausgleich IV. Rennen für Ältere werden die zukünftigen Reiter ausgebildet, bzw. auch mit diesen Rennen die Attraktionen der Hauptrennen während eines großen Renntages unterstützt. Wir sollten „Helden“ schaffen, wie z.B. „unseren DAGOSTINO“ und nicht verbesserte Entwicklungen mit starren Reglementen zu verhindern, die Gesellschaft wäre bereit dazu. Das System sollte zum Wohl der Pferde überarbeitet werden.

Hannelore Gallin-Ast